Zyklon Olwyn

Am Mittwoch war die Welt noch in Ordnung. Wir sind im Cape Range Nationalpark, ganz im Süden. Morgens machen wir in der dortigen Schlucht eine Wanderung und sehen Felskängurus. Am frühen Nachmittag sind wir am Strand, mit langem Hemd und langer Hose im Wasser, es ist so heiß, die Sonne brennt. Der Ranger findet uns am Strand, er hat uns schon gesucht. Wir sind die letzten, der Campingplatz wird gesperrt. Im Norden braut sich ein tropischer Sturm zusammen. Noch ist es kein Zyklon, aber es soll bald einer werden. Wenn wir wollen, können wir im Norden des Parks noch eine Nacht bleiben, die beiden Campingplätze dort werden noch eine Nacht offen gehalten.

Im Park gibt es kein Internet, keinen Mobilfunkempfang. Somit auch keinen Wetterbericht. Und wir waren nicht diszipliniert genug die Nachrichten im Radio zu hören. Somit kommt die Situation für uns sehr überraschend. Wir packen zügig, aber in Ruhe zusammen. Normalerweise wären wir noch über Nacht geblieben. Wir befinden uns am letzten Ende einer Sackgasse, somit ist die Fahrtrichtung klar. Erstmal nach Norden aus dem Park hinaus. Auf der Fahrt stellen wir die ersten Überlegungen an. Am Nordende ist das Besucherzentrum des Parks. Bis dort ist es eine halbe Stunde. Wir beschließen dort kurz anzuhalten. Wir lassen uns die Wettersituation erklären. Der (noch nicht) Zyklon hält genau auf Exmouth zu, also praktisch auf uns. Die Dame im Besucherzentrum meint, wir könnten noch eine Nacht bleiben. Der Zyklon käme dann am Freitag. Die Nacht von Donnerstag auf Freitag müssten wir dann in einer Notunterkunft in Exmouth verbringen. Die dafür vorgesehenen Gebäude sollen recht stabil sein. Und das Auto? Man könnte es wohl irgendwo unterstellen.

Wir sind nicht überzeugt. Wenn wir in Exmouth bleiben sollten, dann können wir auch gleich dorthin weiter fahren und wir verlieren keine Zeit, falls wir doch nicht bleiben wollen. Die Fahrt dorthin gibt uns eine weitere halbe Stunde Zeit zum Überlegen. Es ist Mittwoch Nachmittag. Der Zyklon soll Freitag früh „anlanden“. Da ist noch etwas Zeit. Wir beschließen, dass wir nicht bleiben wollen, wir wollen aus der Gefahrenzone heraus. Somit halten wir in Exmouth nur kurz an der Tankstelle, tanken voll und kaufen Sandwiches für die Fahrt.

Wie gesagt, wir sind in einer langen Sackgasse, die Richtung ist erstmal klar, wir müssen zurück zum Highway. Wir haben während der Fahrt etwas Zeit die Sachlage zu prüfen. Elke fährt, Frank liest Meldungen im Internet. Zum Glück haben wir mittlerweile eine Telstra-Mobilfunkkarte, damit haben wir auch unterwegs zeitweise Empfang. Unser ursprünglicher Plan nach Tom Price zu fahren geht nicht auf. Im Inland sind Straßen von vorherigen Gewittern überflutet, wir würden da nicht durchkommen. Also bleibt nur der Highway nach Norden oder nach Süden.

Eigentlich wollen wir nach Norden, aber der erste sichere Ort laut Vorhersage ist Port Hedland. Das sind über 700 Kilometer. Das Problem ist, dass Ausläufer des Sturms die Küste auf dem Weg dorthin schon am Donnerstag Nachmittag treffen sollen. Und es wird früh dunkel. Hier im Norden laufen viele Kühe, Ziegen und sonstige Tiere auf der Straße herum, wir wollen trotz des Sturms nicht im Dunkeln fahren. Sollte der Sturm etwas weiter nach Osten driften, dann ist auch Port Hedland nicht mehr sicher. Dann können es weit über 1000 Kilometer werden, bis wir in Sicherheit sind. Das ist uns zu heiß, könnte klappen, könnte schief gehen. Bleibt nur die Flucht nach Süden. Der Vorteil dabei ist, dass wir vor dem Sturm herfahren. Wir gewinnen mehr Zeit. Der Sturm ist nicht schnell, zu Beginn unserer Flucht hat er sich gerade mal 7 Kilometer pro Stunde nach Süden bewegt. Außerdem kennen wir die Strecke und wissen, dass sie frei ist. Wir fahren dem Sturm weg und nicht entgegen.

Die Entscheidung steht, es geht nach Süden. Wir fahren bis die Sonne untergeht. Mit dem letzten Licht der Dämmerung halten wir auf einem Parkplatz etwa 50 Kilometer nördlich von Carnavon. Hier treffen wir ein junges, französisches Touristenpärchen. Wir informieren sie kurz, sie wussten noch nichts vom Zyklon.

Am Donnerstagmorgen stehen wir knapp eine Stunde vor Sonnenaufgang auf. Wir räumen ein paar Sachen im Auto zurecht, kochen Kaffee und schmieren ein paar Brote. Mit dem ersten Dämmerlicht fahren wir wieder los. Der Plan ist bis Geraldton zu fahren und dort die Situation neu zu bewerten. Zunächst geht es nach Carnavon. Wir kaufen ein paar Bananen, Brot und tanken das Auto wieder voll. Auf der Tankstelle ist reger Betrieb, alle tanken nochmal voll. Die Stadt bereitet sich auf den Zyklon vor. Wir sind schnell, wir kennen ja alles noch, wir waren ja kürzlich erst da. Wir fahren zum kleinen Hafen und trinken kurz, aber in Ruhe unseren Kaffee und essen die morgens geschmierten Brote. Es ist sehr ruhig, die Ruhe vor dem Sturm.

Wir fahren weiter. Jetzt werden Kilometer gemacht. Wir fahren abwechselnd und kommen tatsächlich am frühen Nachmittag in Geraldton an. Wir duschen und besorgen uns indisches Essen aus einem Restaurant, in dem wir auf dem Weg nach Norden gegessen hatten. Wir übernachten auf einem Parkplatz etwas außerhalb der Stadt.

Am nächsten Morgen – Freitag – stellt sich heraus, dass der Zyklon weitgehend dem vorhergesagten Weg folgt. Aber er ist stärker als vorhergesagt. Auch Geraldton soll jetzt noch in Zyklonstärke erreicht werden. Der erste Zyklon für diese Stadt seit 30 Jahren. Wir beschließen weiter zu fahren. Das neue Ziel ist Fremantle. Hier soll der Sturm nur noch als Sturmtief ankommen. Wir kommen am frühen Nachmittag dort an und quartieren uns auf einem uns bereits bekannten Campingplatz ein. Nun warten wir auf die Reste von Olwyn, die hier vor allen Dingen mit viel Regen ankommen sollen.

Wir sind nun dort, wo wir schon vor gut vier Wochen waren, ca. 1300 Kilometer südlicher. Ab Sonntag können wir hoffentlich neue Pläne machen.